Gegen Jahresende wird es auch in Stuttgart weihnachtlich. Ein universell gültiges Erfolgsrezept für Werbekampagnen auf TikTok gibt es nicht. Doch manchen Marken und Werbeagenturen gelingt der große Coup mit überraschend simplen Zutaten.
Die erfolgreichste Kampagne des Jahres auf TikTok in ganz Europa gelauncht zu haben, wäre wohl für jede Brand ein echter Ritterschlag. 2024 hieß der Sieger des „Greatest TikTok Europe“ Sony Music Deutschland, in den beiden Jahren zuvor ging die Trophäe jeweils nach Italien. Die Preisverleihung fand vor knapp zwei Wochen in Lissabon statt, wo Marken- und Agentur-Delegationen aus neun Ländern und Regionen zusammenkamen.
lles fing damit an, dass Dwyer und sein Team bei B1 – einem Sublabel von Sony – dem Song „Pedro“ der beiden deutschen Musikproduzenten Jaxomy & Agatino Romero zu mehr Bekanntheit verhelfen wollten. Dazu wählten sie eine TikTok-First-Strategie und nutzten als Basis Videomaterial von einem Waschbär, das sie mit dem Refrain des Songs unterlegten. Der verwendete Video-Content stammte von einem privaten Waschbärhalter aus der Ukraine, von dem sich Sony die Bildrechte sowie das gesamte Copyright am Videomaterial sicherte. Ein cleverer Zug, wie sich bald zeigte. Dwyer erklärt die Idee zu der Kampagne so: „Bei B1 versuchen wir tagtäglich, virale Moment für die bei uns gesignten Songs zu kreieren, um sie so weit wie möglich zu verbreiten. Memes sind dafür ein tolles, weil meist sehr positiv besetztes Mittel. Dadurch entstehen positive Assoziationen mit den Songs.“
Und das funktionierte in diesem Fall bestens. Seit dem Release am 29. März erzielte der Song 500 Millionen Streams über alle Plattformen hinweg, die beiden Songproduzenten touren inzwischen weltweit als DJs und TikToks mit dem Sound generierten insgesamt unglaubliche 49 Milliarden Views. Der organische Anteil daran war laut Dwyer riesig: Es gebe etwa 36 Millionen Creations mit dem „Pedro“-Sound.
Dieser durchschlagende Erfolg kam natürlich nicht völlig zufällig zustande, auch wenn das Ausmaß des Hypes um „Pedro“ so nicht abzusehen war. Im Wesentlichen basierte die Kampagne auf drei Stufen, wie Dwyer ausführt: „Am Anfang haben wir standardmäßig auf Creator-Content gesetzt, vor allem auf die Zusammenarbeit mit einer großen deutschen Creatorin namens Vicky Clausen. Ihr Kampagnen-Post verzeichnete schon nach 48 Stunden 3 Millionen Views. Hinzu kam der Austausch mit den beiden Artists, die den Waschbär stark in ihren Promo-Content für den Song eingebunden haben. Zusätzlich haben wir auf multiplen Social-Media-Plattformen die Pedro-Accounts erschaffen.“
Alleine die TikTok-Kanäle der beiden DJs sowie der „Pedrotheracoon“-Account hätten zusammen mehr als 120 Millionen Views für die Kampagne generiert. Die Mischung aus dieser Fülle an organischem Content mit einigen Paid Ads traf offenbar genau den Nerv des TikTok-Zeitgeists in diesem Sommer, wohl auch, weil den meisten Usern nicht bewusst war, dass ein Label hinter dem Waschbär-Meme steckt. Letzteres war auch einer der Gründe, weshalb Sony als Sieger ausgewählt wurde, wie Jury-Mitglied Susanne Grundmann gegenüber HORIZONT erläuterte. Noch maßgeblicher waren ihr zufolge allerdings, dass die komplette Markenstrategie der Kampagne auf TikTok ausgelegt war sowie der große Impact über die Plattform hinaus. Angaben zum genauen Verhältnis zwischen Paid und Organic Content macht Sony nicht, weil sich das laut Unternehmen aufgrund der großen Anzahl an TikToks zur Kampagne nicht mehr richtig eingrenzen lasse.
Es scheint jedenfalls, dass Tier-Testimonials in Social Media nach wie vor sehr gut ankommen (können) und dass TikTok trotz seiner inwischen sehr diversen Inhalte immer noch stark von Entertainment-Content und von eingängigen Sounds lebt. Selbst erwartbare kritische Stimmen gab es im Falle von „Pedro the Racoon“ laut Sony so gut wie keine. Denkbar gewesen wären sicherlich Rückfragen von Usern, warum sich der eingangs erwähnte Besitzer privat einen Waschbär hält oder aber, warum Sony das Tier für eine Kampagne instrumentalisiert. Doch Dwyer sagt dazu: „Wir haben diesbezüglich kein negatives Feedback bekommen. Die Anzahl der positiven Reaktionen entwickelte sich quasi entgegen dem allgemeinen Trend in Social Media, wo ja viel gehatet und kritisiert wird. Die Community hat sich einfach über den- unbekümmerten Pedro-Content gefreut, so dass uns ein echter Candy Storm entgegengesprudelt ist.“