Ein bewegtes Jahr neigt sich dem Ende zu. Just in diesen Tagen gehen mehrere große Handelsriesen neue Wege bei der Kundenbindung – Stichwort Payback-Aus bei Rewe und Payback-Launch bei Edeka. Dazu passt, dass der Thema Preis beziehungsweise das Schnäppchenjägertum in Deutschland wieder an Bedeutung gewonnen hat. Die großen Trends und Themen des Jahres finden Sie in unserer Galerie zum Jahresrückblick!
Marketing zielt auf Treue ab:
Nicht nur das EHI Retail Institute ist sich in seinem aktuellen Marketingmonitor sicher: Eigene Apps und Kundenbindungsprogramme werden zur strategischen Herausforderung im Einzelhandel. Über den richtigen Weg dahin gibt es sehr unterschiedliche Meinungen: Während Lidl sein Treueprogramm mit Medienkooperationen wie Disney+ aufrüstet, starten Edeka und Netto Discount im kommenden Jahr mit hohem Werbedruck in ihre neue Partnerschaft mit Payback. Diese Partnerschaft wird allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit im Werbeblock mit dem neuen Treueprogramm von Rewe konkurrieren, das ab Januar eben- falls auf der Suche neuen Mitgliedern sein wird. Dass Kundenbindung und CRM eine Konjunktur erleben, hat viel mit dem desolaten Zustand der deutschen Konjunktur zu tun. Denn angesichts der schwachen Kauflaune der Kunden ist es immer schwerer, mit klassischen Werbekampagnen neue Kunden anzulocken. Hier können die Bonus-Programme mit personalisierten Angeboten oft relevantere Kaufimpulse setzen.
Aldi eventisiert Debatte um Preis: Die Horrormeldungen zur ungebremsten Inflation wurden 2024 zwar leiser, aber das wahrgenommene Preisniveau ist speziell im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und der Gastronomie so hoch wie nie. Der Discounter Aldi Süd nutzte das Problem als Kommunikationschance und stieg im August mit einem Döner-Truck on Tour auf die in den sozialen Netzwerken kursierende Empörung über die Höhe des aktuellen Dönerpreises ein. Das lieferte nicht nur willkommene PR für das eigene Fleisch- und Fleischersatzsortiment der Eigenmarken, sondern stärkt auch die Positionierung des Discounters als Preisführer im LEH. Die Strategie funktionierte so gut, dass Aldi Süd in diesem Jahr gleich in vier Städten den „günstigsten Weihnachtsmarkt Deutschlands“ ausrichtete – nicht unbedingt zur Freude der regulären Weihnachtsmärkte. Denn auch vor Glühwein und gebrannten Mandeln hat die Inflation nicht halt gemacht.
Brands greifen auf bewährte Claims zurück: Zeit für eine Reaktivierung alter Marken-Claims: Premium-Autohersteller Audi rückt seinen jahrzehntealten Werbeslogan „Vorsprung durch Technik“ in den Vordergrund und korrigiert damit das Motto „Future is an attitude“ sowie den Markengedanken „Living Progress“. Die Telefónica-Tochter O2 reaktiviert2022den Claim „O2 can do“ und will sich damit als eine Telekommunikationsmarke positionieren, die den Konsumierenden den passenden Mindset gleich mitliefert. Oder Fielmann: „Brille: Fielmann“ gilt ebenfalls als einer der Erfolgsklassiker der deutschen Werbegeschichte. Zwischenzeitlich geriet der Slogan in den Hintergrund, weil er von Werbesprüchen wie „Stärke zeigen“ überlagert wurde. Nun die Werberolle rückwärts: „Deine Brille: Fielmann“ lautet der Claim der Optiker-Marke. Wie kommt es zu dieser Rückbesinnung? Die Marke als eine Art Denkabkürzung soll Konsumierenden die Entscheidung der Produktwahl erleichtern, und der Claim soll die Formel auf einfachste Art in die Köpfe bringen. Dabei greifen Marken gerne auf Bewährtes zurück.
Mehr Marken zeigen Haltung: Das Werbejahr 2024 ist auch ein Jahr der Haltung. Viele Markenverantwortliche fragen sich, wie stark sie sich in gesellschaftspolitische Fragen einbringen sollen. Denn das frühere Credo – keine Politik! – bricht in Zeiten des zunehmenden Extremismus zusammen. Bereits zu Beginn des Jahres gehen zahlreiche Menschen auf die deutschen Straßen, um gegen Extremismus und Rassismus zu protestieren. Es stehen wichtige Wahlen an, drei Landtagswahlen in Ostdeutschland sowie eine Europawahl, und die Menschen ahnen, was sich später bewahrheiten soll: Es gibt einen Rechtsruck in der Gesellschaft. Viele Unternehmen engagieren sich in dieser Gemengelage und schließen sich zu Bündnissen wie #Zusammenland oder „Made by Vielfalt“ zusammen. Sie ermuntern ihre Mitarbeitenden, an den Wahlen teilzunehmen. Und sie versuchen, als Entscheider:innen ein Vorbild zu sein. Kein einfaches Unterfangen in einer Zeit, in der die AfD zweistellige Wahlergebnisse erzielen kann. Aber am Ende bleibt die Hoffnung: Konsumierende werden Haltung honorieren.
Rauswurf aus dem Reich der Mitte: Zur Persona non grata in einem ganzen Land zu werden, das hat bisher kein CMO geschafft. Jochen Sengpiehl ist das in diesem Jahr gelungen. Der Marketingchef von VW in China musste im Oktober das Land verlassen, nachdem er Drogen konsumiert haben soll. „China-Diktator schmeißt VW-Topmanager aus dem Land“, titelte die Bild und setzte eine Lawine in Gang. Kaum ein Wirtschaftstitel, der danach nicht über Sengpiehls Fall berichtet hat. Seit August 2022 war der Manager in China für das Marketing und die Produktstrategie verantwortlich. Mit dem Launch der Subbrand ID.UNYX hatte er zuletzt ein Ausrufezeichen gesetzt. VW will mit dem ersten Modell, das im Juli seine Premiere feierte, raus aus der Defensive, wieder stärker die Bedürfnisse der chinesischen Kundinnen und Kunden in den Fokus nehmen. Ob das funktioniert, wird Sengpiehl aus der Ferne beobachten müssen. Obwohl: Es gibt Stimmen, die davon überzeugt sind, dass der Marketingmann schon an einem Comeback arbeitet – für die Zeit, wenn Gras über die Sache gewachsen ist.
zur EM 24 macht Check24 sein Trikot zum Viralhit: Egal ob beim Public Viewing, in den Fan Zones oder Stadien – das Check24-Trikot ist während der Fußball-Europameisterschaft nicht zu übersehen. Denn während für die offiziellen Team-Trikots Preise von 60 bis 150 Euro aufgerufen werden, müssen sich die Fans nur beim Check24-Tippspiel anmelden, um das Trikot kostenlos zugeschickt zu bekommen. Der positive Effekt für die Marke: Wer sich am Tippspiel beteiligen will, muss zuvor natürlich die Check24-App herunterladen und sich registrieren. Bei mehr als4MillionenverschicktenTrikots hat die Aktion die Nutzerbasis der App also deutlich nach oben getrieben. Selbst Chief Brand Officer Helmut Huberist vom Erfolg der Aktion überwältigt: „Uns hat die EM-Tippspiel-Aktion überrannt.“ Check24 muss sie sogar kurz nach dem Start für einige Tage stoppen, da das Unternehmen zu wenige Trikots bestellt hat. Dazu kommt ein beeindruckender Relevanzgewinn auf Social Media für die inhaltlich eher dröge Preisvergleichsplattform. Allein auf TikTok posten die jungen Fans mehrere1000Videos.
Jaguar wagt den radikalen Bruch beim Markenrelaunch: Der Aufschrei im Netz und in der Branche lässt nicht lange auf sich warten. Als Jaguar Ende November seinen neuen bunt-grellen Markenauftritt präsentiert, schwanken die Reaktionen zwischen Entsetzen und Fassungslosigkeit. Von Wokeness ist die Rede, vom Verrat an der Tradition. Lob gibt es nur selten, dafür viel Spott und Häme. Die Marke bricht bewusst mit den Regeln. Jaguar will polarisieren. Anders sein. Exklusiver werden. Einen Neuanfang wagen. „Copy of Nothing“, wie das bei der Marke schon immer genannt wird. Anfang Dezember zeigt die Tochter des indischen Tata-Konzerns auf der Miami Art Week, wie sie den Leitspruch in die Moderne überträgt. Mit dem Type 00 gibt Jaguar einen Aus- blick darauf, wie die Marke ab 2026 auf den Straßen zu sehen sein wird. Elektrisch. Kantig. Bullig. Provozierend.
Die neuen Kundenversteher: Die Telekommunikationsbranche hat ein Thema wiederentdeckt, das es vor einigen Jahren schon einmal gab, nur ist die Umsetzung ein wenig schwierig: das Thema Kundenorientierung. In diesem Sommer erklärt die Telefónica-Tochter O2 die Kundenorientierung zu ihrem neuen Differenzierungsmerkmal in der hart umkämpften Branche. Auch Congstar, die jung positionierte Marke der Deutschen Telekom, wirbt mit dem Attribut Fairness und will sich als Kundenversteherin profilieren. Vodafone vervollständigt das Trio, als das Unternehmen im Herbst erklärt, es wolle zum kundenfreundlichsten Anbieter der Branche werden. Kundenorientierung entscheidet heute mehr denn je über den Erfolg eines Geschäfts. Kund:innen erwarten nicht nur qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen, sondern auch eine empathische Betreuung nach Abschluss des Kaufs. Allerdings: Kundenorientierung ist kein Merkmal, das sich eine Marketingabteilung im Alleingang ausdenken sollte, sondern das von der obersten Unternehmensspitze her gedacht und geplant werden muss.
Werbung für Olympischen Sport: Ein größeres Deutsches Haus gab es noch nie: Anlässlich der Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris wagt der DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund), ein ganzes Stadion für Team und Fans zu bespielen. Ein logistisches und finanzielles Risiko, das sich am Ende gelohnt hat: Mehr als 55000 Besucher sind zuletzt im „größten Deutschen Haus aller Zeiten“ zu Gast. Auch die Social-Media-Reichweite kann ausgeweitet werden: Unter anderem verdoppeln sich die Follower-Zahlen auf Instagram und Tik-Tok. Trotz der enormen Fläche gelingt es, Nähe zu den Fans herzustellen und emotionale Momente zu schaffen, wie den, als Clueso sein Konzert auf der Fan-Bühne unterbricht, um mit 3.000 Besuchern Lukas Märtens auf den letzten Metern zur Goldmedaille anzufeuern. Zudem dient das Deutsche Haus auch als Vermarktungsbüro: Die Sparkassen-Finanzgruppe gibt die Fortsetzung ihrer Partnerschaft mit DOSB und DBS (Deutscher Behindertensportverband) bekannt, Adidas seine Ausweitung des Engagements auf den paralympischen Bereich.
Öffentlich still, fleißig hinter den Kulissen: Eine gewisse Zurückhaltung ist eingetreten, wenn es um Nachhaltigkeit und Marketing geht. Das Thema scheint nicht mehr ganz oben auf der Agenda zu stehen – zumindest bei der öffentlich wahrnehmbaren Kommunikation. Das kann damit zusammenhängen, dass der Begriff an sich bei Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht mehr so hoch im Kurs steht: Sein Image ist angekratzt, wiederkehrende Greenwashing-Vorwürfe führen zu Verunsicherung. Auch erste Gerichtsurteile wie das gegen die Drogeriekette dm wegen irreführender Werbung tragen dazu bei. Das Marketing reagiert entsprechend mit Stillschweigen. Doch hinter den Kulissen sieht es anders aus: Eine Vielzahl von Regularien fordert inzwischen von Unternehmen, Rechenschaft abzulegen. Ob Green Claims Directive, Corporate Sustainability Reporting Directive oder Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Sie alle haben den Druck erhöht, aktiv zu werden und Nachweise zu bringen. Sobald die Industrie so selbst Sicherheit zurückgewonnen hat, kann sie auch im Marketing wieder mutiger werden.
Ikea und Otto feiern runde Geburtstage: 50 Jahre ist der schwedische Möbelhändler Ikea schon auf dem deutschen Markt, bei Otto steht dieses Jahr mit dem 75-Jahre-Jubiläum sogar eine noch größere Geburtstagsparty an. Ikea nutzt den Anlass vor allem, um an die klassischen Elemente der Marke zu erinnern. Der Jubiläumsfilm zeigt natürlich die alltäglichen Herausforderungen beim Zusammensetzen der gekauften Möbel, aber auch die nach wie vor beliebte Werbefigur Frau Smilla hat einen Gastauftritt zum Jubiläum. Auch der Sprecher der Ikea-Werbung Jonas Bergström taucht in den TV-Spots auf. Otto thematisiert in seiner Jubiläumskampagne dagegen den permanenten Wandel, mit dem das mittlerweile zum E-Commerce-Händler umgebaute Unternehmen seit 75 Jahren zu leben gelernt hat. In der Jubiläumskampagne „Immer wieder neu“ feiert der Händler, wie Trends über die Jahrzehnte wieder neu entdeckt werden. Und Otto entdeckt passenderweise selbst einen vergessenen Trend neu und stellt nach einer langen Zeit der ausschließlichen Produktkommunikation jetzt wieder die Marke in den Mittelpunkt.
McDonald’s bedient von früh bis spät: Vom Fast- zum Service-Food – McDonald’s befindet sich in einem Transformationsprozess. Der Fast-Food-Anbieter steht seit geraumer Zeit im Tagesverlauf in Konkurrenz mit Backshops, Imbissketten und Snackanbietern aller Art. Um die Kundschaft zu halten, überarbeitet das Unternehmens ein Image. Weg vom schnellen Über-die-Theke-Reichen, hin zu einem voll durchdigitalisierten Service-Restaurant, das für jedes Bestell- und Verzehrbedürfnis eine Anwendung vorrätig hat. Egal ob im Auto, auf dem Parkplatz, am Tresen oder am Tisch: Digitale Lösungen ermöglichen es, alles überall zu ordern und zu erhalten. Ein neues, zum Verweilen einladendes Interieur soll die Marke ebenso beeinflussen. Nicht zuletzt das von vier auf zwölf Produkte ausgeweitete Frühstücksangebot, das McDonald’s im Frühjahr launchte, zahlt auf den Konkurrenzkampf ein; das Unternehmen sieht hier noch viel Wachstumspotenzial: Kaffee, Croissants, Toasts, Frühstücksburger und süße Teile sollen die Kundinnen und Kunden schon am Morgen in die Filialen ziehen. Langfristig soll sich der Umsatz am Morgen so verdreifachen.